Es ist ein etwas grauer, vernieselter Morgen, als sich der Lichtenberger Bundestagsabgeordnete Dr. Martin Pätzold (CDU) in Haubrok´s Fahrbereitschaft in der Herzbergstraße 40–43 einfindet. Er möchte im Rahmen seines Wahlkreistages zum Thema »Kunst« einige Standorte im Bezirk besuchen.
Haubrok’s Fahrgemeinschaft
»Haubrok´s Fahrbereitschaft« klingt nach Limousinenservice. So etwas Ähnliches war das Gelände auch einmal, das rund 19.000 Quadratmeter große Areal beherbergte zu DDR-Zeiten die Fahrer und Fahrzeuge von SED-Funktionären. Das Sammlerehepaar Barbara und Axel Haubrok suchte für seine private Sammlung von Konzeptkunst und Minimal Art und für seine Stiftung, die zeitgenössische Kunst fördert, einen neuen Platz. 2013 fanden sie dann das Gewerbegelände an der Herzbergstraße. Dort schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Zahlreiche Gewerbebetriebe wie Schreinereien und Kfz-Werkstätten werkelten vor sich hin. Es gab aber auch schon eine Handvoll Ateliers, in denen sich Künstler niedergelassen hatten. Die Haubroks wollten so wenig wie möglich verändern, der raue Charme des DDR-Ambientes sollte erhalten werden.
Kreativszene und Gewerbe in friedlicher Koexistenz
Inzwischen ist eine interessante Mischung entstanden. Autos werden immer noch repariert, aber in den insgesamt 13 Häusern sind dazu noch künstlerische Werkstätten entstanden. Dabei mussten die heutigen Anforderungen beispielsweise an Brandschutz und Sicherheit beachtet werden. Aber mit viel Liebe zum Detail wurde daran gegangen, möglichst viel Ursprüngliches zu bewahren. So ist die original erhaltene Kegelbahn – diese gehörte wie Sauna und Tanzsaal zum Freizeitangebot für die Fahrer – noch funktionstüchtig, das ehemalige Kasino noch mit dem ursprünglichen Mobiliar ausgestattet. Inzwischen haben auch Fotoagenturen und Filmcrews das Gelände entdeckt. So wurden dort Szenen für die ARD-Erfolgsproduktion »Weissensee« gedreht. Dr. Pätzold, beeindruckt von der Vielfalt, stellt fest: Die Entwicklung des Areals ist ein Spiegel für die Entwicklung des Bezirkes.
Und so herrscht bei der »Fahrbereitschaft« eine »friedliche Koexistenz« zwischen der Kreativszene von Mode bis Malerei und den Gewerbetreibenden von Reifenhandel bis Bilderrahmenwerkstatt. Und es haben sich neue Produktionsstätten angesiedelt wie beispielsweise »soulbottles«. Sie stellen individuell gestaltbare Trinkflaschen aus Glas her, ökologisch und zudem noch stylish. Mit dem Verkauf unterstützen sie zudem ein Trinkwasserprojekt von »Viva con Agua«.
Kunstfabrik statt Margarinewerk
Nur drei Gehminuten entfernt befindet sich die Kunstfabrik »HB 55«. Wo einst Margarine hergestellt wurde, arbeiten inzwischen Tischlerwerkstätten und Instrumentenbauern in rund 220 Studios, Ateliers und Werkstätten Bildhauer, Maler, Designer, Modemacher und Musiker. Nahezu alle Räume sind vermietet. Stefan Reiss hat dort seit 2013 ein kleines Studio und arbeitet gerade an einer Skulptur. Die Holzleisten dienen als Modell für das später aus Metall gefertigte Werk. Angesprochen auf die großen Leinwände in der Ecke zeigt er einige seiner Arbeiten. Die gefallen Martin Pätzold und bringen ihn auf eine Idee: Das wäre doch was für die Artothek des Bundestages, eine Kunstsammlung, aus der sich die Bundestagsabgeordneten Bilder für ihre Büros ausleihen könnten. Die Arbeiten von Rufus Dayglo passen da eher nicht rein. Der Grafiker und Comiczeichner teilt sich mit Kollegin Claire Adams Ferguson ein Atelier. Für sie liegt das HB 55 »in einer faszinierenden Ecke von Berlin«. Vielleicht mit ein Grund, warum das nächste Projekt von Rufus Dayglo, Comicfans vielleicht bekannt als Zeichner des »Tank Girl« oder der Musikvideos der virtuellen Rockband GORILLAZ, etwas über Berlin sein wird.
Künstlerkolonie neben Bahngleisen
Weniger Stein, mehr Grün kennzeichnen die BLO-Ateliers am S-Bahnhof Nöldnerplatz, gleich neben dem Kaskelkiez. Wo bis 1999 Dampfloks repariert wurden, fördert seit gut zwölf Jahren der Verein Lockkunst e.V. die größte Berliner Ateliergemeinschaft mit 65 Kreativen, Malern, Grafikern, Musikern, Modedesignern. Die Anfangsbuchstaben des alten Betriebes Bahnbetriebswerk Lichtenberg Ost lieferten auch den neuen Namen für das Areal: BLO.
Erst Anfang 2003 wurde das Gelände von Künstlern quasi entdeckt, dann der Verein Lockkunst e.V. gegründet, um mit der Eigentümerin, der Deutschen Bahn, 2004 einen zehnjährigen Mietvertrag abschließen zu können. Nach Ablauf gab es eine Zitterpartie, aber die Künstlerkolonie kann nun weitere zehn Jahre bleiben. Zwischen 60 und 90 Künstler arbeiten in den alten Eisenbahnerhäusern, mit dabei Kunstschlosser, Holzbildhauer und Designer für Beton. Eine ganz andere Art von Design findet sich auf dem hinteren Teil des Geländes. Dort hat »ozon-Bicycles Berlin« eine Werkstatt und stellt handgefertigte, individuell angepasste Fahrradrahmen aus Bambus her. Wer möchte, kann sich in Workshops auch selbst versuchen.
Lange Nacht der Bilder
Noch mehr Entdeckungen der vielfältigen künstlerischen Palette Lichtenbergs können Interessierte zur »Langen Nacht der Bilder« am 8. Juli machen, von 18 Uhr bis Mitternacht. Eröffnung ist in der »Fahrbereitschaft«, Herzbergstr. 40–43.
Autor: Regina Friedrich